Wir werden geboren, das ist ein Geschenk. Aber das Leben auf dieser Erde ist eher eine „Leihgabe“. Wir neigen dazu das zu vergessen. Solange wir zur Schule gehen scheint die Zeit „normal“ zu laufen. Nach unserem Abschluss nimmt sie aber irgendwie Fahrt auf und rauscht mit uns durchs Leben. Als eine Art Achterbahnfahrt erleben wir Höhen und Tiefen, die wir im Laufe der Zeit besser einzuschätzen und entspannter hinzunehmen wissen.
Oft passiert uns irgendwann etwas, ein einschneidendes Ereignis tritt in unser Leben und ganz plötzlich stoppt diese Fahrt. Das Leben scheint still zu stehen, unser Leben, nicht das der anderen Menschen.
… und dann steht die Welt kurz still
Bei mir war es der 5.05.2015 – der Tag, an dem bei meinem Vater Darmkrebs festgestellt wurde. Man denkt doch irgendwie immer, die eigenen Eltern seien unverwundbar. Natürlich wissen wir alle, dass uns jeden Tag eine Krankheit treffen kann. Trotzdem leben wir so, als könne es keine Krankheit schaffen uns oder einen geliebten Menschen aus dem Leben zu reißen. Zumindest viele von uns.
Bei meinem Vater wurde leider sehr schnell festgestellt, dass der Krebs längst gestreut hatte. Fazit: Palliative Therapie. Das heißt? Keine Chance! Ihm wurde eine Lebenserwartung von circa drei Monaten vorausgesagt. Was muss das für ein Gefühl sein? Was macht es mit einem, wenn dir das ins Gesicht gesagt wird? Ich habe ihn in der Zeit extrem viel erlebt und trotzdem konnte ich nur sehen, was er zeigen wollte. Was er innerlich durchlebt haben muss, das bleibt jedem von uns verborgen. Aber es muss grauenvoll sein.
Trotz allem stand meinem Vater eine OP bevor und eine palliative Chemotherapie. Er hat alles getan, was getan werden musste. Versucht, was man versuchen konnte. Und bis zum Ende hin weder die Nerven, noch seine Stärke und Klasse verloren. Wie ein Mensch so mit dieser Diagnose umgehen kann, hat mich nachhaltig extrem beeindruckt.
Mein Vater war schon vor alldem ein Vater, der extrem viel mit seinen Kindern gesprochen hat. Ich habe in den 26 Jahren, die ich ihn an meiner Seite haben durfte sicherlich mehr Zeit und mehr Gespräche mit ihm gehabt als viele Kinder, die ihre Eltern doppelt solange auf der Welt haben. Das hilft im Nachhinein ungemein. Aber auch in den 3,5 Monaten, die er nach der Diagnose noch gelebt hat, habe ich sehr viel Zeit mit ihm verbringen dürfen. Teils schwierige Zeit, da es für uns Kinder schwierig ist, seine eigenen Eltern so zu sehen. Aber auch und vor allem für mich persönlich extrem wichtige Zeit. Zeit, um zu begreifen, was da passiert. Zeit, nochmal alles zu besprechen, was ich besprechen wollte und Zeit, um mich zu bedanken und zurückzugeben, was ich an toller Lebenszeit mit einem großartigen Vater geschenkt bekommen habe.
… und wenn sie sich wieder dreht, dreht sie sich ein wenig anders
Es war für mich eine sehr prägende Zeit. Die Gespräche mit den Ärzten, die natürlich immer wieder niederschmetternden Aussichten. Aber auch der Umgang mit dieser Krankheit. Die Menschen, die in dieser Situation stärkend an deiner Seite stehen und die, die es eben nicht schaffen, damit umzugehen. Für mich war es eine sehr wichtige Lebensphase, die mich sicherlich stark verändert hat. Aus der ich persönlich aber auch neben dem Schmerz mit mehreren Erkenntnissen für mein Leben rausgegangen bin. Das Klischee, dass wir Menschen uns an alles irgendwann gewöhnen ist für mich defintiv wahr. Dass wir stärker sind, als wir es dachten. Dass jeder Schmerz mit der Zeit besser zu ertragen ist. Dass wir an allen Schwierigkeiten wachsen. Dass wir in den schwierigsten Phasen unsere wahren Freunde erkennen und dass eine Schwester oder ein Bruder definitiv ein Riesen Geschenk ist. Am Ende zählen dann eben doch die „kleinen“ Dinge des Lebens – die Familie; die Freunde, die ja auch irgendwie zur Familie zählen; die Gespräche; das gemeinsam Erlebte; … Das wissen wir alle. Es dann nochmal zu erleben ist doch sehr lehrreich.
Jetzt im Mai jährt sich die Diagnose und im August 2020 jährt sich der Tod meines Vaters zum fünften Mal. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an ihn denke. Aber es sind positive Gedanken. Und selbst die Gedanken an die letzten Monate fügen mir keinen seelischen Schmerz mehr zu, sondern Dankbarkeit. Natürlich vermisse ich ihn und es gibt viele Situationen, in denen hätte ich ihn so gerne hier. Es gibt Probleme, bei denen bräuchte ich so dringend seinen Rat. Es gibt Momente, da wünsche ich mir einfach mal wieder seine Stimme zu hören. Aber die Dankbarkeit überwiegt. Für die letzte intensive Zeit mit meinem Vater, für die großartigen Ärztinnen und Ärzte, für das so starke Pflegepersonal der Klinik. Dankbarkeit für einige Menschen, ohne die es so viel schwerer gewesen wäre und die in jeder Phase immer noch ein Lächeln in mein Gesicht zaubern konnten. Dankbarkeit für meine Familie und meine Freunde und für meinen so geduldigen Hund, der all das auch mitmachen musste und einen sehr wichtigen Begleiter verloren hat, mit dem er viel Zeit verbracht hat.
Wer ist dein/e Alltagsheld/in?
Conny und ich haben vor ein paar Monaten über das Buch von Hannes Jaenicke „Wer der Herde folgt, sieht nur Ärsche. Warum wir dringend Helden brauchen“ berichtet. Darin geht es um Alltagshelden, um Vorbilder aus dem „normalen“ Leben. Diese Menschen, die täglich in den Kliniken, Pflegeeinrichtungen, Arztpraxen und Hospizen ihr Bestes tun, um andere Menschen zu heilen, ihnen zu helfen oder sie auf ihrem allerletzten Weg zu begleiten sind in meinen Augen Alltagshelden. Für mich persönlich gibt es da vor allem einen Namen. Das ist der unserer Ärztin und guter Freundin, Frau Dr. Charlotte Gehlen-Staerk. Sie hat die Krankheit entdeckt und sie stand bis zum Ende und darüber hinaus an der Seite meines Vaters und der gesamten Familie. Immer erreichbar, in jeder Schreckensminute an unserer Seite und sicherlich eine der größten Unterstützerinnen für mich, ohne die all das viel schwieriger gewesen wäre.
Aber auch mein Vater, der in einer so schweren Zeit das Wohl seiner Familie weiterhin an erste Stelle gestellt hat. Der in der sicherlich schwersten Phase Ruhe bewahrt hat, mit Sicherheit am Ende mehr für alle anderen als für sich.
Auf unsere persönlichen Altagshelden und Dankbarkeit für das, was wir erleben dürfen – ob Glück oder auch die schweren Zeiten … es macht uns zu dem, was wir sind und das ist das Leben!
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